Lesetipp: Giannis (Jannis) Ritsos, "Ikonenwand anonymer Heiliger"

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Im Gedenken an zwei große griechische Seelen lese ich zurzeit in den oben genannten poetischen Texten des Dichers Jannis Ritsos (1909 bis 1990). Er verzaubert den Alltag auf wunderbare Weise, und besonders die erste von drei Textsammlungen, “Ariostos der Aufmerksame erzählt Augenblicke seines Lebens und seines Schlafes” hat es mir angetan.

Das Buch ist ein genialer Flohmarktfund von letztem Sonntag, es stammt noch aus der DDR, wurde dort 1986 verlegt. Das Interieur fließt ununterbrochen in den poetischen Sprachraum von Ritsos ein, z. B. hier:

Wir werden uns auf das Kanapee setzen, unseren Tee trinkend, uns über Gärten und Reiterstandbilder unterhalten. Dann wird eine Taube hereinfliegen, eine dieser herrenlosen aus der Nachbarschaft wird durch das Fenster kommen und sich zwischen uns setzen.

Und während ich so die Hand bewege, um die Taube zu streicheln, wird meine Hand der ihren begegnen, und unsere Hände werden auf dem Rücken der Taube bleiben wie auf einem kleinen weißen Altar, den ewigen Schwur leistend.“
Verlag Volk und Welt, Berlin, 1986, S. 30, „Schwur“