Literatur (USA): Kim Stanley Robinson, Das Ministerium für die Zukunft

Texte über Interiors, Business und Ökologie. Profil und Referenzen
Texts about Interiors, business and ecology. Profile and references

„Sie schaute sich um. Der Raum war breit, und die hintere Wand bestand aus dem grünlich schwarzen Gneis des Bergs, behauen und poliert wie ein riesiger Halbedelstein. Die niedrige Decke war anscheinend aus weißer Keramik und strahlte ein starkes, diffuses Licht aus. Mary spürte ihr heißes Gesicht und wusste, dass sie einen Sonnenbrand hatte, der ihre Erschöpfung noch verstärkte.“

München 2021, S. 405/406

Laut Barack Obama das wichtigste Buch 2020: Kim Stanley Robinsons Science-Ficition-Roman „Das Ministerium für die Zukunft“ spielt im nahen Jahr 2025 in einer vom Klima bereits sichtlich veränderten Welt. Wie eine Rezension in der FAZ (zu lesen unter buecher.de, hier) bescheinigt, ist die Klimafiktion realistisch und deshalb umso erschreckender.

Wer weiß schon, dass es eine Feuchtkugeltemperatur gibt, die sich aus Temperatur und Luftfeuchtigkeit zusammensetzt und dass in manchen Gegenden der Welt schon bald Werte erreicht sein werden, die kein Mensch überleben kann?

Mit derlei Hitzetoden in Indien beginnt der Roman, der viel Wissenschaftliches und Philosophisches zusammenbringt – und Utopisches. Es ist denkbar, dass sich die Dinge ändern. Das Wissen darüber, wie das gehen kann, ist längst da. Nur wie kommen wir dahin, was muss passieren? Der Erzähler zeigt Mittel und Wege auf, über die gestritten wird. Nicht alles ist legal, vieles klug und schon in der Entwicklung.

Schon der Gedanke, dass die Weltgemeinschaft tatsächlich einen neuen Weg einschlagen kann, tut gut. Sehr, sehr lesenswert!

Literature (USA): Richard Powers, The Overstory/Wurzeln des Lebens

Texte über Interiors, Business und Ökologie. Profil und Referenzen
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‘Bigger than my room in college’, Olivia says. ‘And nicer.’

Balanced on another branch just beneath, reachable by rope lander, is a smaller piece of plywood. A rain barrel, collecting jar, and and sealable bucket complete the bathroom. Six feet above them on a higher spur, another platform serves as pantry, kitchen, and den. It’s filled with water, food, tarps, and supplies. A hammock stretches out between two limbs cradles a substantial library, left here by previous sitters.

Richard Powers, The Overstory, London 2018, p. 328

Die szenische Schilderung bezieht sich auf die Wohnung in einem besetzten Mammutbaum.

Ein grandioser Roman über viele schräge, besondere, traurige, stürmische, starke, schwache, hoffnungsvolle, wütende Menschen, über die Geschichte der Bäume und Baumsorten in den USA, über Wälder, über deren Bedrohung und über den Kampf dieser Menschen um deren Rettung.

Manchmal etwas kitschig (finden andere) , manchmal langatmig (finde ich, aber das finde ich fast bei jedem Buch), am Schluss für meine Begriffe  zu verworren, aber: lesen, lesen, lesen! Allein Teil I, Roots, hat mich schon so sehr beglückt wie in den letzten Jahren wenige Bücher zuvor.

Mehr über das Buch auf Deutsch hier , Rezensionen dazu hier und ein englischsprachiges Interview mit Richard Powers im Guardian hier.

Literatur (D): Leif Randt, Allegro Pastell

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„Tanja lobte das Interieur des Lokals. Die Wände waren blass mintgrün gestrichen, und an der Decke hing ein Kronleuchter, dessen Material billig erschien. Tanja behauptete, in diesem Lokal eine Art kommunistische Nostalgie zu empfinden, sozusagen stellvertretend, und das Essen war wirklich gut.“ Seite 79

Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2020/2

Etwas ernüchternd, die Liebe in dem Roman Allegro Pastell von Leif Randt. Aber angenehm unaufgeregt. Sehr schön die klare Sprache und die Dialoge.

Das Protokoll einer Liebe und das Lebensgefühl (Konsumprofil) eines jungen Webdesigners aus der hessischen Provinz und einer Schriftstellerin aus Berlin. Anregend.

Hier liest Leif Randt aus dem Buch.

Buchtipp (Frankreich): Karine Tuil, Die Zeit der Ruhelosen

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„Die Hölle von Afghanistan. Du bist überwältigt von der Natur, ihrer Vielfalt, den versteckten Höhlen, der Schroffheit, alldem, womit dein Feind bestens zurechtkommt und was du dir erst vertraut machen musst, denn er kennt die Gegend besser, als du sie je kennenlernen wirst ­– das weite, von Schluchten durchzogene, hügelige Terrain mit den kreideweißen Gipfeln des Hindukusch im Hintergrund, die sternenklaren Nächte, diese Postkartenlandschaft.“

Berlin 2017, Seite 17

„Die Zeit der Ruhelosen“ von der französischen Autorin Karine Tuil ist ein prima Thriller. Ich habe das Buch fasziniert und atemlos gelesen, mit Erkenntnisgewinn. Vor allen die Szenen, in denen die drei männlichen Hauptpersonen in der unbegreiflichen Realtiät der Gewalt, des Krieges, der Gefangenenschaft und der Folter existieren. Karine Tuil schreibt hart, schnell, gnadenlos, journalitisch. Dass sich ein Rezensent bei der Lektüre gelangweilt hat (siehe Kritiken im Perlentaucher), verstehe ich nicht.

Lesetipp (Simbabwe): Petina Gappah, Die Farben des Nachtfalters/The Book of Memory

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Foto: Yves Picq, Wiki Commons – Palisander in Harare, Simbabwe

„Noch während ich diesen nachsichtigen Stamm mit Hohn und Spott überschütte, frage ich mich, wie es wohl wäre, wenn meine eigene kleine Dorfgemeinde, alle Leute, die ich je gekannt habe, um mich herumstünden und mir Vergebung schenkten.

Zürich, Arche, 2016, S. 251 f

44931358zKann die Geschichte einer Frau, die (in diesem Fall in Simbabwe) im Gefängnis sitzt und zum Tode verurteilt ist, bereichern, ja mitunter fröhlich machen? Kann sie, wenn sie von Petina Gappah geschrieben wurde.

Wunderbar für Herz und Verstand, locker zu lesen, wenn man mag, aber auch mit jeder Menge Stoff zum Nach- und Weiterdenken – über die Art und Weise, wie Erinnerung funktioniert, über Macht in Institutionen, über die Konstruktion von Wirklichkeit, über das Universelle in  Mythologien, über das Ausgeliefert-Sein von Kindern, über Schuld, über Vergebung und alles andere, was ihr selbst hineinlesen könnt und wollt.

Leseprobe

 

 

 

 

 

 

Buchtipp für den Lese-Urlaub (JPN): Gail Tsukiyama, Der Garten des Samurai

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Eine Komposition aus dem alten japanischen Garten Ryoan-ji (15. Jahrhundert), Foto und Erklärungen dazu hier.

„Es kam mir vor wie ein Traum, dass wir monatelang gearbeitet hatten und dass sich der vollendete Garten nun vor uns ausbreitete. In diesem Augenblick erwachte er zum Leben. Auf einmal hörte ich das Wasser fließen und sah, wie sich der Strom der Steine sanft kräuselte. Doch vor allem genoss ich die Vorstellung, dass seine Schönheit etwas war, das mir keine Krankheit, kein Mensch nehmen konnte.“

Lübbe, Bergisch-Gladbach, 200/2, S. 223

51KQAQ5C4WL._SX334_BO1,204,203,200_Der Garten des Samurai von Gail Tsukiyama ist das Richtige, wenn man sich selbst in ein ruhigeres Tempo bringen möchte und geistige Klarheit ohne allzuviel Metaphysik sucht.

Der Tagebuch-Roman handelt von einem jungen, tuberkulosekranken Chinesen, der von Herbst 1937 bis Herbst 1938 in dem Strandhaus seines Vaters in Japan Erholung sucht und von dem stillen Matsu versorgt wird.

Nur am Rande bekommt man mit, dass die Japaner gerade in China Krieg führen und schreckliche Massaker begehen (drastisch beschrieben in Mo Hayders fast unerträglichem Thriller “Tokio“) In der Nähe des Strandhauses ist eine Kolonie verstoßener Leprakranker, und dort lebt Sachi, die trotz ihrer Narben nichts an Schönheit eingebüßt hat.

In dem Buch spielen unter anderem zwei japanische Gärten, der komplizierte Ehrbegriff des traditionellen Japans, zwei Dreiecksbeziehungen und der Verlust von Schönheit und Sicherheit eine Rolle. Wie die Gärten selbst werden diese  Themen auf scheinbar einfache Art mehrfach gespiegelt, kontrastiert, entfaltet, symbolisiert.

Mir gefällt es besonders, wie die Erzählerin verschiedene Konzepte von innerer und äußerer Schönheit verhandelt. Sie hat mich tatsächlich dazu gebracht, menschliche Gesichter neu zu sehen. Für die Langsamkeit und Behutsamkeit dieses Buches braucht man aber schon auch Geduld.

Das Buch kam übrigens per Bookcrossing zu mir, ich fand es in einem öffentlichen Buchregal.

Buchtipp (D): Doris Knecht, Wald

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So licht und stylisch wie in den angesagten She Sheds geht es in „Wald“ nicht zu.

„Dieses Geschenk nicht anzunehmen, würde schlechtes Karma bedeuten. Marian wollte kein schlechtes Karma, davon hatte sie schon genug, also nahm sie das Geschenk an, dankte der Gottheit mit einer Verbeugung und schlug dem Huhn mit dem Beil den Kopf ab.“
Hamburg 2016, Seite 178 f

91oAk-YRmELDoris Knechts „Wald“ zeigt einmal mehr, dass meist nicht das Was, sondern das Wie des Erzählens entscheidend ist. Noch eine Geschichte über eine zarte Luxus-Seele oder eine Lifestyle-Frau, die plötzlich mit der Realität der Geldlosigkeit und der Provinzialität konfrontiert wird, hätte nicht unbedingt sein müssen.

Die Art, wie Doris Knecht die Heldin vor sich hin hirnen und in Schleifen ihren Niedergang rekapitulieren lässt, fand ich sehr gekonnt. So ungefähr sieht er aus, der Bewusstseinsstrom dieser Zeit und dieser Generation der Fiftysomethings. Ein Buch wie eine gute – und dann eben doch recht patente – Freundin. Du bist nicht allein.

Leseprobe

Michael Köhlmeier (AUT), Das Mädchen mit dem Fingerhut

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Aus dem Buch „Shelter“ von der Künstlerin Moki.

„Ein bisschen war ihnen übel. Sie hätten sich gern nebeneinander gesetzt und die Beine von sich gestreckt. Dazu aber war zu wenig Platz. So aßen sie einander gegenüber, die Beine angezogen. Sie atmeten vorsichtig und bewegten sich nicht. Sie fürchteten, sich zu übergeben.“

Michael Köhlmeier, Das Mädchen mit dem Fingerhut, München 2016, Seite 88

Köhlmeier_25055_MR2.inddDer kurze Roman Das Mädchen mit dem Fingerhut von Michael Köhlmeier über ein kleines obdachloses Mädchen ist herzzerreißend. Die Tatsache, dass es im Stil eines Märchens geschrieben ist, macht es nicht erträglicher, ganz im Gegenteil. Dadurch wird einem bewusst, dass es sich um ein zeitloses Thema handelt, um eine Realität, die es jetzt in diesem Moment überall auf der Welt gibt.

Beklemmend ist es auch, dass das Mädchen sich von zwei Jungen zum Ausreißen aus einem Waisenhaus (wo es ihr eigentlich gut geht) anstiften lässt. Den Jungen traut sie mehr als den Erwachsenen. Man muss etwas tun.

Buchtipp: Klaus Modick, Konzert ohne Dichter

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Das Gemälde „Sommerabend“ (1905; Foto von hier) von Heinrich Vogeler, auf dem Rilke fehlt.

„Er hat dieses Buch ausgeschmückt (…) – ein Formenreichtum, der nach Farben schreit, nach giftigen, süßen, einschmeichelnden aufreizenden Farben. Im Aufbau sind die Blätter zwar organisch, doch der Rhythmus der Flächen formt eine geschlossene, exklusive Welt. Nirgends öffnet sich ein Horizont, nirgends ein Durchblick, nirgends eine neue Perspektive. Nirgends Freiheit. Ein schöner Vorhang, der die Wirklichkeit verbirgt, eine Mauer, die das Leben ausschließt.“

Klaus Modick, Konzert ohne Dichter, Köln 2015/16, S. 155

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Und jetzt, anlässlich der vergangenen Kölner Möbelmesse, etwas zum Thema Design und Gestaltung.

Wie ein lauschiger Lese-Spaziergang mutet Klaus Modicks „Konzert ohne Dichter“ (spielt im Juni 1905) über die Beziehung des Gestalters und Künstlers Heinrich Vogeler und des (in diesem Buch als ziemlich fordernd und unsympathisch charakterisierten) Dichters Rainer Maria Rilke an.

In dieser fiktiven Biographie liest man aber auch das Psychogramm eines erfolgreichen Gestalters, der in der Gebrauchskunst zu ersticken droht. Ein paar Jahre später bricht er dann ja auch politisch aus.

Und hier noch eine Sofa-Dreingabe frisch von der Möbelmesse, die zum üppig-sinnlichen Lifestyle von anno dazumal passt: “Cover” von Ligne Roset (Design: Marie-Christine Dorner).cover_1_01

Lesetipp: Lily King, Euphoria

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Das Foto ist von hier.

9783406682032_large“Meine neue Freundin Malun hat mich heute in ein Frauenhaus mitgenommen, wo die Frauen webten und Netze flickten (…). Ich nehme ihren abgehackten Sprechrhythmus in mich auf, den Klang ihres Lachens, ihre Kopfhaltung. Ich erfasse die Sympathien und Antipathien im Raum auf eine Weise, wie es über die Sprache nie könnte. Im Grunde behindert die Sprache die Kommunikation, merke ich immer wieder, sie steht im Weg wie ein zu dominanter Sinn. Man achtet viel stärker auf alles Übrige, wenn man keine Worte versteht. Sobald das Verstehen einsetzt, fällt so viel anderes weg. Man beginnt sich ganz auf die Worte zu verlassen, aber Worte sind eben nur bedingt verlässlich.“

Euphoria, C.H. Beck, München 2015, S. 82 f.

Was für ein Leben! Lily Kings Roman “Euphoria” über eine ca. 30-jährige Ethnologin, die in Neuguinea ein (erfundenes) Urvolk am (realen) Fluss Sepik erforscht, ist der Biographie von Margaret Mead nachempfunden.

Neben der Ethnologin selbst stehen einige ihrer frühen Theorien und ein explosives Dreiecks-Liebesverhältnis im Zentrum des dennoch fiktiven Romans. In den USA wurde das Buch euphorisch besprochen in Deutschland zurückhaltender.

Ich empfehle es! Lily King hat eine schöne transparente Sprache. Durch die Erzählstruktur, in der abwechselnd die Ich-Erzählerin und ihr Geliebter erzählen, bleibt viel Raum für eigene Erkenntnisse. Und für historische und forschungstheoretische Positionen, die man von weit weg in Neuguinea mit anderen Augen sieht.